Bald steht wieder der Besuch auf der Frankfurter Buchmesse an. Anlass für einen kleinen Rückblick auf ein Ritual im Schatten der Messe.
Die Frankfurter Innenstadt rund um die Kaiserstraße ist kein Klein-Istanbul, eher ein Konglomerat verschiedenster nah- und fernöstlicher Länder, angereichert um Amerikanismen wie billige Burger-Läden, um Erotikshops und ein paar kleine altbürgerliche Inseln wie ein Pfeifengeschäft. Alle Küchen Asiens scheinen hier zusammenzutreffen, vor einem Geschäft feilschen zwei Araber mit dem langen Kinnbart der strenggläubigen Muslime, dort betreten ein paar Männer den pakistanischen Imbiss, eine Straße weiter reihen sich gleich drei oder vier indische Lebensmittelgeschäfte aneinander.
Ich freue mich jedes Jahr, wenn ich auf der Frankfurter Buchmese bin, auf einen kleinen Abstecher ab vom Bahnhof in eines ebendieser indischen Geschäfte. Dort thront – zwischen den Regalen mit Chutneygläsern, Gewürzen und Bollywoodkassetten – eine Theke voller indischer Süßigkeiten: Burfi und Laddu und wie sie sonst heißen mögen, reichhaltige, zuckersüße Leckereien aus angeröstetem Kichererbsenmehl und den verschiedensten Nüssen, aus Butter oder eingekochter Milch, gewürzt mit Kardamom, Nelken und Rosenwasser, mit Kokosraspeln bestreut oder mit Lebensmittelfarbe aufgepeppt, zu Kugeln gerollt oder in Würfel und Quadern geschnitten.
Die Männer im Laden schauen mich alle an, als ich im Trenchcoat und das Handy in der Hand eintrete. Während ich glücklich meine Bestellung aufgebe – ein Pfund handgemachter indischer Süßigkeiten, die ich in den meisten Städten Deutschlands gar nicht oder wenn doch, dann vermutlich zu horrenden Preisen bekommen würde –, werde ich weiterhin gemustert. Der Blick der Männer bleibt wachsam, dabei mache ich doch nicht mehr, als mir ein paar Süßigkeiten zu kaufen. Was sie wohl gerade denken? Ist es so ungewöhnlich, in diesem Geschäft einen firangi zu sehen? Sie halten mich doch nicht etwa gar für einen Polizisten? (Und selbst wenn, sollte ihnen das Sorge bereiten?) Ich nehme den Plastikbecher mit den Süßigkeiten entgegen und dann lächelt der Verkäufer plötzlich und drückt mir eine Karte in die Hand: „Wir liefern auch.“
Auch dieses Jahr wieder: Süßigkeiten aus dem „Punjabi Shop“
An der nächsten Ecke, gegenüber einem großen Dolly Buster-Namenszug, stoße ich auf eine internationale Buchhandlung. Urdu kutub – Bücher auf Urdu – zeigt mir ein Blick auf den Aushang im Schaufenster. Ich betrete das Geschäft, ein langer, schmaler Raum, in dem Sortiment und Antiquariat bunt gemischt sind. Viele der Bücher sind in abgegriffene Folie oder in durchscheinendes Pergamentpapier gehüllt: Spanisch, Englisch, Türkisch, Französisch, Russisch, Italienisch, Urdu und Arabisch, internationale Bestseller und rätselhafte Broschuren, ein kleines, angestaubtes Paradies für polyglotte Bücherfreunde.
Eine graue, ältere Frau steht hinter der Kasse. Ihr Blick ist misstrauisch und angriffslustig. Mir widerfährt einer jener lächerlichen Reflexe: Weniger aus Höflichkeit, sondern mehr um ihr zu signalisieren, dass ich ‚Inländer’ bin und nicht ein Geschäftsmann aus, sagen wir, London, Helsinki, Bratislava, auf jeden Fall um zu zeigen, dass sie mich auf Deutsch ansprechen könne, grüße ich sie. Und ich sage „Grüß Gott“ und noch während ich es mit der Zunge, mit den Lippen forme, merke ich, was ich da von mir zu geben im Begriff bin – „Grüß Gott“ in Frankfurt am Main –, und heraus kommt schließlich ein gedämpfter, gequetschter Gruß. Doppelt fehlgeschlagen also.
Die graue, grimmige Dame grüßt zurück, immerhin, doch eine Philanthropin ist sie wirklich nicht, das wird gleich klar: Am Telefon weist sie jemanden barsch zurück, Bestellungen möge man bitte sehr per Fax schicken, sie habe Kundschaft im Laden. Viele Besucher sind es allerdings nicht, und das wundert mich jetzt auch nicht mehr. Ich stehe vor dem Regal neben der Kasse und blättere ungestört die arabischen Bücher durch – nahezu alle von allergeringstem bibliophilen Anreiz – und versuche, die Titel zu entziffern. Ein anderer Kunde hat weniger Glück. Die graue Dame marschiert auf ihn zu und fordert ihn heraus: „Kann ich Ihnen helfen?“ Danke, könne sie nicht, antwortet der arme Mann, als müsse er eine Schuld eingestehen. Die Dame macht kehrt, verschanzt sich wieder hinter der Theke, schneuzt sich und schaltet das Radio an. Viel zu laut und aufdringlich ertönen die Nachrichten.
Blick in die wunderbare Internationale Buchhandlung „Südseite“
Bald hat die graue Dame ihre wenigen Kunden vertrieben, nur ich stehe noch da und entscheide mich schließlich für ein arabisches Büchlein, in dem, wenn ich richtig verstanden habe, ein Vater seinem Sohn erklärt, warum Menschen Krieg führen und dass daran ein gewisser Herr Bush nicht unwesentlichen Anteil habe. Wenn ich Pech habe, wird es sich als peinliche Agitation entpuppen, aber es ist sowieso eher ein Verlegenheitskauf, und ich weiß jetzt schon, dass ich über die ersten Seiten vermutlich nicht hinauskommen werde und das Büchlein ein weiteres Denkmal meines sprachlichen Scheiterns sein wird.
Als ich das Buch an die Kasse lege, überträgt die Verkäuferin mit etwas Mühe den Titel – er steht in Umschrift auf einem Etikett – in einen Block, dann schüttet sie ein Einmachglas mit Münzen aus und wühlt auf der Suche nach Wechselgeld. „Zweier gebe ich so ungern heraus“, murmelt sie und wühlt stumm weiter.
Ich warte geduldig und dann frage ich gegen das Schweigen an: „Haben Sie auch Bücher auf Swahili?“ (Nicht, dass ich viel damit anfangen könnte.)
„Nein“, bringt die Dame hervor und sieht mich aus grauen Augen an. „Nein.“
„Aber eine wirklich schöne Buchhandlung“, rufe ich ihr zum Abschied munter zu. Vielleicht sieht so dieser Ort doch noch ein Lächeln, bevor die Dame den Laden abschließt.