Es ist einer jenen schlichten Gaststätten, an denen früher oft ein Schild „Deutsche und jugoslawische Küche“ hing. Zwischen den beiden uniformierten Puppen mit Fellmützen und Dolchen im Gürtel beschallt ein Alleinunterhalter das Lokal mit osteuropäischen Schlagern. Manchmal singt er zu seinem Konservensound, zu anderen bläst er das Saxophon, immer ist er zu laut. Die Menschen an den Tischen scheint es nicht zu stören. Englisch, Russisch, Deutsch und ja, auch mal Georgisch ist zu hören: Das Tshito-Gwrito ist Stuttgarts einziges georgisches Lokal.
Gegen den ersten Hunger teilen wir uns Chatschapuri, mit Käse und Ei gebackenes Fladenbrot, und einen kleinen Berg Chinkali. Wer diese Teigtaschen an ihrem „Hut“ greift, tut gut, erst einmal nur eine Ecke anzubeißen. Sie sind mit Hackfleisch und mit Brühe gefüllt, und die will schließlich geschlürft und nicht über die Kleidung verteilt sein. Den teigigen „Hut“ lassen Kenner liegen. An ihrer Zahl lässt sich am Ende der Appetit aller Speisenden ablesen.
Die zweite Runde wird geschmacklich raffinierter, und nicht umsonst galt die georgische Küche in der Sowjetunion als die feinste. Walnuss ist fast allgegenwärtig, auch Granatapfel und grüner Koriander werden gerne verwendet. Die Spinatbällchen Pchali sind großzügig mit Knoblauch gewürzt, in ihrer Variante aus Weißkohl dominiert der fruchtige Geschmack des Granatapfels. Das Lobio aus roten Bohnen ist ein wenig zu salzig geraten; die Auberginenscheiben mit Walnusssoße sind wunderbar zart; geschnetzelte Geflügelinnereien köcheln in einer dunklen, würzigen Soße. Und zu Kababi, Hackfleischrollen mit einer kalten Tomatensoße, wird aus Neugierde noch eine zweite Tunke bestellt: Tkemali, eine säuerliche Soße aus grünen Pflaumen.
Auf die georgische Sitte der Trinksprüche verzichten wir und am guten Wein halten wir uns zurück. Der kaukasische Tropfen ist nicht günstig, unsere Börsen hingegen sind nur mager befüllt und Kartenzahlung nicht möglich im Tshito-Gwrito. Das bremst das Gespräch nicht, auch bei Wasser und Bier kommen wir in Schwung, lachen über den Versprecher Nekrolepsie, lernen, dass Fruchtfliegen kein Rapid Eye Movement haben, legen die Stirn in Falten zu einer Coverversion von „Hotel California“ und stellen fest, alle drei Frauen am Tisch haben einmal Bratsche gespielt.
Der Alleinunterhalter ist längst verschwunden, die Tische sind geleert, außer uns ist nur noch die georgisch-amerikanische Gruppe am Nebentisch. Sie lässt sich eine weitere Flasche Wein bringen, eine Diskussion über den dunklen Tropfen entbrennt mit der jungen Bedienung, die so munter ist wie ihre Lippen rot und ihre Augen dunkel. Wir lassen sie allein mit ihrem Rebensaft und treten hinaus in den Stuttgarter Osten. Drüben, überm Fluss, heißt es, soll es ein russisches Lokal geben. Das ist doch ein Ausblick.
Tshito-Gwrito: Heinrich-Baumann-Straße 23 − 70190 Stuttgart
(Haltestelle Stöckach)