Kurze Gedanken auf einer Zugfahrt

Geht ein Plan nicht auf, muss er neu justiert werden. Die Lebenskunst ist es wohl, darin nicht eine Ungerechtigkeit oder ein Ärgernis, sondern eine Chance zu sehen.

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Wie die Menschen in die Züge drängen, wie stumpfes, stieres Vieh, ist mir schon geradezu ekelhaft. Hier könnte, meine ich, die Zivilgesellschaft üben. Doch wie macht man das? Wo setzt man an?

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„Plötzlich war es so dunkel, dass ich im Norden kaum mehr den schwarzen Himmel und das schwarze Meer unterscheiden konnte. Nur die hellen Lichter der fernen Fischkutter zogen langsam am Horizont entlang; wie große Mähdrescher, die die Dunkelheit einfuhren, markierten sie die Trennlinie zwischen den beiden.“ (Robert Macfarlane, Karte der Wildnis)

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Der Punkt Baden-Württembergs, der am weitesten von einer Bahnlinie entfernt liegt, dürfte in Hohenlohe liegen, das legt die Streckenkarte nahe.

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Der Friede des Abends im letzten Licht. Die Menschen auf den Bahnsteigen, Massen untertags, Verlorene nachts, sind in dieser Stunde befreundeten Wesen gleich. Selbst der Güterzug fährt behutsamer durch den Bahnhof als gewohnt.

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„Wie gut: Zu gehen und zurückzukehren. / Man könnte Schlimmeres sein als Birkenschaukler.“ (Robert Frost, Birken)

Allgäu_Hoinzen

Sauber aufgereihte „Hoinzen“

13 Gedanken zu „Kurze Gedanken auf einer Zugfahrt

  1. Zu Punkt 1+2: Wir müssen noch viel mehr werden. Vermute ich jedenfalls, wenn ich an die flüssig gleitenden Menschenschwärme in Südostasien denke. Keine Aufregung, keine übers Knie gebrochenen Pläne, nur reiner Wille, der seinen Weg findet, beharrlich, mitleidslos, wie Wasser wenn nicht hier und so, dann eben anders.

    • Interessant, sehr interessant, auch weil die Vision, die du entwirfst (bzw. deine Beobachtung aus Südostasien) ja durchaus auch ihre gruselige Seite hat: reiner Wille, mitleidslos …

      • Sagen wir es mal so: Für Emotionsäußerungen wie Ärgern und Magengrummeln läßt ihnen der Überlebenskampf keine Zeit und keinen Raum. Und unsere Werte der Aufklärung wie Menschenrechte und individuelle Entfaltungsfreiheit schätzen sie durchaus. So wie eine gute Cohiba-Zigarre: Ein Luxus, den man sich vielleicht mal leisten kann, ein zwei mal im Jahr, falls Zeit und Geld übrig ist. Trotzdem, oder grade deswegen, steht Lebensgenuß sehr hoch im Kurs. Hier hab ich mal versucht, das einzufangen: https://confusionfoodblog.wordpress.com/2015/11/17/massenbewegung/

  2. Bei mir, in mir, hat sich besonders der Friede des Abends im dem letzten Licht eingenistet. Damit starte ich nun die Woche. Hab Dank für diese schönen Zeilen (damit meine ich alle obigen). Komm gut in die Woche. Liebe Grüße von der Beobachterin

  3. Man braucht schon sehr robuste Laune, um Menschen in Massen auszuhalten; umgekehrt ist es erfreulich schwierig, gar nichts Liebenswertes an ihnen zu finden, wenn man ein Weilchen hinschaut.
    Oh, und: schön, Macfarlane hier wiederzulesen. (Die Matthes&Seitz-Ausgaben finde ich wunderhübsch.)

    Alles, alles Gute!

  4. (Trotz klemmender Tastatur)___
    Ich zitiere sehr zustimmend Alice Wunder: „Zu Punkt 1+2: Wir müssen noch viel mehr werden.“
    Meine Frage ist lediglich, ob die Zeit noch reichen wird.
    Interessante Bahnbeobachtungen, lieber Zeilentiger. Vielleicht sollte ich auch mal wieder . . .
    Morgengruss vollsonnig,
    Herr Ärmel

  5. Das schlimmste an Menschenmassen ist, daß man selbst einen Teil von ihnen bildet. Wenn ich in so einer Traube vor der Bahn stehe, empfinde ich sowohl Fremd- als auch Selbstekel.

    Den Zwängen, die mich in solche verhaßten Ansammlungen führen, ein für allemal zu entgehen: das wäre etwas, wofür sich intensives Nachdenken, harte Arbeit und lebenslange Askese lohnen würden.

    Die Sonnenseite, das wäre: All den Massenmurks nicht mehr mitmachen zu müssen.

    • Entziehen kann man sich diesem Massenmurks nicht oder nur zu einem hohen Preis (mir wäre es zu hoch). Aber die Haltung, die man in dieser Masse bewahrt, die können wir noch bestimmen. Mein kleiner Trost.

      • Mitgegangen mitgehangen. Da ist es egal, ob mit geradem oder krummem Rücken. Alles eine Frage des Preises. Und denn bestimmt jeder für sich selbst.
        Morgengruss aus dem Bembelland,
        Herr Ärmel

      • Und trotzdem macht es einen Unterschied. Bleiben wir an diesen ganz banalen Situationen von Masse im Alltag: Vor der Tür des haltenden Zuges oder Busses, an einer Kasse. Da macht die Haltung einen Unterschied, davon bin ich überzeugt.
        Morgengruß zum fernen Glockengeläut zurück!
        Ihr Zeilentiger

      • So gehts wenn man pauschal zu einem vielschichtigen Thema schreibt oder darauf antwortet. Sie natürlich Recht mit Ihrem Beispiel vom Bus.
        Ich hatte wie gewohnt, etwas ganz anderes dabei im Blick…
        Sonntagsgruss aus dem Bembelland,
        Herr Ärmel

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