Buchmessesorgen III

Meinen Zug habe ich verpasst, aber K. war so nett, die Stunde mit mir zu warten und mir nochmals ein Getränk auszugeben. Dabei hatte er, den die Buchmesse am Arsch vorbeigeht, mich vollgequatscht über Verlage und Verleger, Autoren und Illustratoren und Gestalter und ihre Leistungen und Mauscheleien, ihre Schätze und Gaunereien. Und ich verstand, in der Bar bei den Gleisen, nur Bahnhof, kannte und begriff von dieser deutschen Verlagsgeschichte nur einen Bruchteil und war sowieso müde und nun auch hungrig von dem langen Tag, und im Blickfeld links blinkte der übergroße Bildschirm und im Blickfeld rechts blinkte die scharfe Braut, die sich andauernd, immer und immer wieder, mit den Fingern durch die Haare fuhr, und ich fragte mich, ob sie von nebenan aus dem Rotlichtviertel kam und hier einen irgendwie verlorenen Messebesucher abgreifen wollte, und ich begann zu schielen und konzentrierte mich auf K.s lange Nase und er redet und redet einfach immer weiter und ich bin gar nicht mehr hier. Den nächsten Zug verpasse ich nicht und meine Sorge, ob ich mit meinem zuggebundenen Ticket durchkomme (ich habe mit K. eine Wette darüber abgeschlossen oder eher er mit mir) löst sich gerade eben einfach auf, als die Stempelzange des Zugbegleiters ihr KLICK

Meta mit Frühling

Beim Abstieg zur U-Bahn flackern die Lichter, sie ersterben, springen dann zitternd wieder an. Sofort sind sie da, die Bilder von der Zombie-Apokalypse.

Nach einer berauschenden Woche, in der alles möglich schien, folgen ein paar Tage der Stasis und der Erschöpfung und nachts träumen sich Glassplitter in den Mund. Erst war alles ganz viel, dann kommt das Wellental. Die Geschichten zu fassen – das Horchen und das Schauen – kam dabei etwas kurz. Daher heute ausnahmsweise nur ein paar knappe Hinweise.

Menschen aus dem Süden – unter dieser Rubrik wurde ich mit meinem Blog am letzten Freitag in der Stuttgarter Zeitung vorgestellt. Danke an Ina Schäfer für das Interview.

Am Abend des gleichen Tages hatte ich gemeinsam mit Stephan Trinkl die angekündigte Lesung in Ratzer Records Schallplattencafé. Es wurde eine gemütliche, unterhaltsame Veranstaltung. Das Mikrofon vermisste ich erst am Folgeabend, als ich an einem ganz anderen Ort auf einer Bühne stand und merkte, wie viel Kraft ein Mikro doch aufsparen kann für andere Aspekte des Ausdrucks. Für die Lesung danke an Brigitte und Karl-Heinz Ratzer, Stephan (mit Verspätung und direkt aus dem Feierabendstau in die Lesung zu starten und trotzdem gelassen zu lächeln ist eine respektable Leistung) und allen, die kamen, um uns zuzuhören! Dem Hund inklusive.

Heute (also Freitag) wird auf der Leipziger Buchmesse um 18 Uhr aus „Tausend Tode schreiben“ gelesen – einem Projekt der Verlegerin Christine Frohmann, von tausend Menschen kurze Texte über den Tod zusammenzutragen. #1000Tode (so der Hashtag des Projekts) bietet ebenso viele Perspektiven auf die große Unvermeidlichkeit unserer Existenz wie Stimmen. Mein Blogbeitrag „Requiem für eine Fremde“ ist (minimal bearbeitet) als Text 307 vertreten. Übrigens sind die 1000 Texte noch nicht vollständig – die Gelegenheit, sich für dieses Projekt noch einzubringen! Die Erlöse aus dem E-Book-Verkauf gehen als Spende an das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin-Pankow.

Und der Frühling tänzelt …

Geht man in der Straße der Sonne entgegen, ist es, als würden die Kastanien bereits knospen. Man reckt die Nase, man streckt den Hals. Unversehens kommt hinter dem Eck dann die Ohrfeige des Windes, dafür, dass man dem Frühling schon zu tief ins Mieder blicken wollte. Man fährt zusammen, senkt den Kopf, verlegen nestelt die Hand am Schal.

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Und was ist das da bitte?

Letzter Aufruf für die Buchmesse

Kesselleben liest Zeilentiger zur Zeit nicht viel. Rastlos und reiselastig waren die letzten Wochen. Aber manchmal eröffnet das auch ganz neue Möglichkeiten. Zum Beispiel ein Treffen auf der Frankfurter Buchmesse.

Ich freue mich sehr auf den angekündigten Besuch von einigen geschätzten Bloggerinnen und Bloggern am Freitag um 10.30 Uhr in Halle 4.2, Stand C6/C8 (mit Büchern allerbester handwerklicher Machart übrigens, allein dafür lohnt ein kurzer Blick auch dann, wenn die Inhalte nur Spezialisten interessieren).

Vielleicht hat ja noch jemand Lust, sich dazuzugesellen? Herzlich willkommen!

Buch(messe)sorgen II

„Wissen Sie, was mich diesen Winter bey allen Widerwärtigkeiten, die mir zustoßen, tröstet? Daß ich kein Buch auf die Leipziger Messe fertig zu machen habe! Es ist sonderbar, in welchem Grade ich dies als eine Wohltat empfinde; oft – ich lüge nicht – bis zum Aufspringen für Freude.“

(Friedrich Heinrich Jacobi in einem Brief vom 23.12.1789)

Diese Sorge teilen vermutlich auch heute noch manche Autoren. Daneben gibt es natürlich noch Buch(messe)sorgen anderer Art. Interessanter sind aber meist doch die Buchmessefreuden. Viel Erfolg und Freude jedenfalls allen Messebesuchern in der kommenden Woche! Zeilentiger hingegen bleibt beim Kesselleben. Jacobi hätte sich gefreut.

Von Burfi und Urdu kutub – Traditionen am Rande der Buchmesse

Bald steht wieder der Besuch auf der Frankfurter Buchmesse an. Anlass für einen kleinen Rückblick auf ein Ritual im Schatten der Messe.

Die Frankfurter Innenstadt rund um die Kaiserstraße ist kein Klein-Istanbul, eher ein Konglomerat verschiedenster nah- und fernöstlicher Länder, angereichert um Amerikanismen wie billige Burger-Läden, um Erotikshops und ein paar kleine altbürgerliche Inseln wie ein Pfeifengeschäft. Alle Küchen Asiens scheinen hier zusammenzutreffen, vor einem Geschäft feilschen zwei Araber mit dem langen Kinnbart der strenggläubigen Muslime, dort betreten ein paar Männer den pakistanischen Imbiss, eine Straße weiter reihen sich gleich drei oder vier indische Lebensmittelgeschäfte aneinander.

Ich freue mich jedes Jahr, wenn ich auf der Frankfurter Buchmese bin, auf einen kleinen Abstecher ab vom Bahnhof in eines ebendieser indischen Geschäfte. Dort thront – zwischen den Regalen mit Chutneygläsern, Gewürzen und Bollywoodkassetten – eine Theke voller indischer Süßigkeiten: Burfi und Laddu und wie sie sonst heißen mögen, reichhaltige, zuckersüße Leckereien aus angeröstetem Kichererbsenmehl und den verschiedensten Nüssen, aus Butter oder eingekochter Milch, gewürzt mit Kardamom, Nelken und Rosenwasser, mit Kokosraspeln bestreut oder mit Lebensmittelfarbe aufgepeppt, zu Kugeln gerollt oder in Würfel und Quadern geschnitten.

Die Männer im Laden schauen mich alle an, als ich im Trenchcoat und das Handy in der Hand eintrete. Während ich glücklich meine Bestellung aufgebe – ein Pfund handgemachter indischer Süßigkeiten, die ich in den meisten Städten Deutschlands gar nicht oder wenn doch, dann vermutlich zu horrenden Preisen bekommen würde –, werde ich weiterhin gemustert. Der Blick der Männer bleibt wachsam, dabei mache ich doch nicht mehr, als mir ein paar Süßigkeiten zu kaufen. Was sie wohl gerade denken? Ist es so ungewöhnlich, in diesem Geschäft einen firangi zu sehen? Sie halten mich doch nicht etwa gar für einen Polizisten? (Und selbst wenn, sollte ihnen das Sorge bereiten?) Ich nehme den Plastikbecher mit den Süßigkeiten entgegen und dann lächelt der Verkäufer plötzlich und drückt mir eine Karte in die Hand: „Wir liefern auch.“

Punjabi ShopAuch dieses Jahr wieder: Süßigkeiten aus dem „Punjabi Shop“

An der nächsten Ecke, gegenüber einem großen Dolly Buster-Namenszug, stoße ich auf eine internationale Buchhandlung. Urdu kutub – Bücher auf Urdu – zeigt mir ein Blick auf den Aushang im Schaufenster. Ich betrete das Geschäft, ein langer, schmaler Raum, in dem Sortiment und Antiquariat bunt gemischt sind. Viele der Bücher sind in abgegriffene Folie oder in durchscheinendes Pergamentpapier gehüllt: Spanisch, Englisch, Türkisch, Französisch, Russisch, Italienisch, Urdu und Arabisch, internationale Bestseller und rätselhafte Broschuren, ein kleines, angestaubtes Paradies für polyglotte Bücherfreunde.

Eine graue, ältere Frau steht hinter der Kasse. Ihr Blick ist misstrauisch und angriffslustig. Mir widerfährt einer jener lächerlichen Reflexe: Weniger aus Höflichkeit, sondern mehr um ihr zu signalisieren, dass ich ‚Inländer’ bin und nicht ein Geschäftsmann aus, sagen wir, London, Helsinki, Bratislava, auf jeden Fall um zu zeigen, dass sie mich auf Deutsch ansprechen könne, grüße ich sie. Und ich sage „Grüß Gott“ und noch während ich es mit der Zunge, mit den Lippen forme, merke ich, was ich da von mir zu geben im Begriff bin – „Grüß Gott“ in Frankfurt am Main –, und heraus kommt schließlich ein gedämpfter, gequetschter Gruß. Doppelt fehlgeschlagen also.

Die graue, grimmige Dame grüßt zurück, immerhin, doch eine Philanthropin ist sie wirklich nicht, das wird gleich klar: Am Telefon weist sie jemanden barsch zurück, Bestellungen möge man bitte sehr per Fax schicken, sie habe Kundschaft im Laden. Viele Besucher sind es allerdings nicht, und das wundert mich jetzt auch nicht mehr. Ich stehe vor dem Regal neben der Kasse und blättere ungestört die arabischen Bücher durch – nahezu alle von allergeringstem bibliophilen Anreiz – und versuche, die Titel zu entziffern. Ein anderer Kunde hat weniger Glück. Die graue Dame marschiert auf ihn zu und fordert ihn heraus: „Kann ich Ihnen helfen?“ Danke, könne sie nicht, antwortet der arme Mann, als müsse er eine Schuld eingestehen. Die Dame macht kehrt, verschanzt sich wieder hinter der Theke, schneuzt sich und schaltet das Radio an. Viel zu laut und aufdringlich ertönen die Nachrichten.

SüdseiteBlick in die wunderbare Internationale Buchhandlung „Südseite“

Bald hat die graue Dame ihre wenigen Kunden vertrieben, nur ich stehe noch da und entscheide mich schließlich für ein arabisches Büchlein, in dem, wenn ich richtig verstanden habe, ein Vater seinem Sohn erklärt, warum Menschen Krieg führen und dass daran ein gewisser Herr Bush nicht unwesentlichen Anteil habe. Wenn ich Pech habe, wird es sich als peinliche Agitation entpuppen, aber es ist sowieso eher ein Verlegenheitskauf, und ich weiß jetzt schon, dass ich über die ersten Seiten vermutlich nicht hinauskommen werde und das Büchlein ein weiteres Denkmal meines sprachlichen Scheiterns sein wird.

Als ich das Buch an die Kasse lege, überträgt die Verkäuferin mit etwas Mühe den Titel – er steht in Umschrift auf einem Etikett – in einen Block, dann schüttet sie ein Einmachglas mit Münzen aus und wühlt auf der Suche nach Wechselgeld. „Zweier gebe ich so ungern heraus“, murmelt sie und wühlt stumm weiter.

Ich warte geduldig und dann frage ich gegen das Schweigen an: „Haben Sie auch Bücher auf Swahili?“ (Nicht, dass ich viel damit anfangen könnte.)

„Nein“, bringt die Dame hervor und sieht mich aus grauen Augen an. „Nein.“

„Aber eine wirklich schöne Buchhandlung“, rufe ich ihr zum Abschied munter zu. Vielleicht sieht so dieser Ort doch noch ein Lächeln, bevor die Dame den Laden abschließt.

Buch(messe)sorgen

Wenn ich frühmorgens im ICE zur Frankfurter Buchmesse über einem Manuskript zur Begriffsgeschichte der „Bestimmung des Menschen“ in der Aufklärung brüte und dann neben mir junge Kolleginnen aus einem anderen Verlag darüber diskutieren, dass ihr Verlagstext falsch sei, da das Pferdekinderbuch nicht in der Mongolei, sondern auf Island spiele, dann relativiert das Vieles.