„Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.“

IMAG1102

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Sonntagsausflug hatte mich heute wieder in Stuttgarter Außenbezirke geführt, die zwischen mangelndem Charakter und schierer Trostlosigkeit changieren, und auch der Kurzbesucher erlebt, wenn er in Stuttgart-Mitte vorstößt, die Stadt mit ihrer kalten Büroarchitektur nicht von ihrer verführerischsten Seite.

Zu den Juwelen in der Krone der Stadt gehören hingegen die Straßenzüge aus den Zeiten von Historismus und Jugendstil. Von ihnen haben trotz der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg (Wikipedia spricht von 57,5 Prozent zerstörter oder beschädigter Bausubstanz) genügend überlebt, um sich fast wie ein Ring um das Zentrum zu ziehen. Die abwechslungsreichen, detailverliebten Fassaden sind Fußgängerarchitektur und keine Autofahrerarchitektur, für die Feinheiten geschwindigkeitsbedingt nebensächlich sind, und vielleicht deshalb sprechen sie viele von uns so unmittelbar an. In diese Straßen, durch die ich jeden Tage spaziere, habe ich mich längst verliebt. Sie sind in meinen Augen ein wahrer Schatz.

Wird in die Erhaltung dieser Fassaden nicht investiert, verlieren sie ihren Liebreiz rasch; erst recht, wenn sie (wie es häufig der Fall ist) aus dem auf Umwelteinflüsse empfindlich reagierenden Sandstein sind. Und wirken manchmal, als trügen sie noch immer die Narben des letzten Krieges, wie dieses Haus in der Hauptstätter Straße, Stuttgart-Süd.

18 Gedanken zu „„Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.“

    • Eine schöne Idee. Man müsste sich nur vorher schlau machen, ob das Haus (siehe Philipp Elphs Hinweis) überhaupt noch zu retten ist oder schon bis ins Gebein der „Chemie des Todes“ erlegen ist. Beitragen könnte ich zu solch einer Haussanierung aber nicht viel – allenfalls Einsatz. Aber vielleicht findest du ja ein solches Haus näher an deiner Arbeti? 😉

  1. Das ist leider in vielen Städten so. Mir fiel es in Görlitz extrem auf. Die Kernstadt gepflegt und restauriert, aber sobald man nur um die Ecke biegt, Bilder des Jammers. Mitte der Woche gehts in den Harz. Wernigerode, Quedlinburg, ich bin gespannt, wie es da mittlerweile aussieht. Feinstgrüße in die Kesselstadt, Ihre Frau Knobloch.

    • Dass die alt(un)ehrwürdigen Jammerbilderfassaden in Stuttgart noch vergleichsweise selten sind, lässt vermutlich darauf schließen, dass hier viel Knete da ist. Traurig, wenn man sich überlegt, wie sehr Verfall damit eigentlich vorprogrammiert ist: Wenn es die Mittel eines wohlhabenden Bundeslandes innerhalb eines so wohlhabenden Landes wie Deutschland braucht, um diese Schätze halbwegs zu bewahren. (Und man will gar nicht an anfällige Aufgaben denken wie die Runderneuerung der Wassersysteme. Aber ich schweife ab.) Liebe Frau Knobloch, ich hoffe, wir dürfen von Ihren Eindrücken aus den ottonischen Pfalzen lesen? Eine gute Fahrt!

      • Ich denke schon, daß die Harzreise die eine oder andere Geschichte in sich bergen wird. Die Kladde wird mitgeschleppt für Notate. Und ich hoffe, nicht allzu viel Verfall beäugen zu müssen, allerdings schwant mir etwas. Ich grüße herzlichst, Ihre Frau Knobloch, gutfahrtwunschdankend.

  2. Oje, da hat der Zahn der Zeit nicht nur genagt, sondern ordentlich gebissen – schön, dass du die Fassade hier im Blog bewahrt hast! Der Begriff „Fußgängerarchitektur“ gefällt mir sehr. 🙂

    • Die Idee einer Fußgängerarchitektur verdanke ich dem Herrn Jaworek, der hier im Viertel gelegentlich Stadtführungen gibt. Der Gedanke war mir sofort ganz einsichtig.

  3. Da bist du aber hoffentlich mit aufgesetzter Gasmaske die Hauptstätter Straße lang gegangen…
    Das letzte Mal, als ich dort ein Stück gehen musste Richtung Heslacher Tunnel, bin ich schier erstickt vor lauter Autoabgasen…

    • Der Verkehrsstrom dort nervt tatsächlich, aber wahrscheinlich sind meine in Allgäuer Landluft gewachsenen Lungen inzwischen rettungslos verstädtert, denn mir fällt da gar nichts mehr auf. Smog ist dann doch nochmals eine ganz andere Nummer, wenn jeder Atemzug beißt und ein Würgen auslöst – so was gibt’s hierzulande ja wohl nur in Tunnels oder so. 😉

  4. Ich mag die Sandsteinfassaden auch, aber sie sehen mit der Zeit einfach unheimlich dreckig aus. Ist immer interessant, den Unterschied zu den gereinigten zu sehen. Ist auch in Edinburgh zu beobachten, wo die Riesenkamine auf den Dächern auch noch davon zeugen, warum die Häuser so schwarz geworden sind…

Hinterlasse eine Antwort zu nettebuecherkiste Antwort abbrechen