Mittagspause in Südtirol − Das Meran in Bad Cannstatt

Griaß di Gott. Hat‘s also ein paar Monate verspätet doch noch geklappt mit einem Geburtstagsessen mit den Kolleginnen.

„Darf es schon was zu trinken sein?“, fragt schwungvoll die Kellnerin des Meran am Marktplatz von Bad Cannstatt. Wir sind alle zum ersten Mal hier, die Sonne scheint aufs Kopfsteinpflaster.

Ich hätte jetzt gerne nach der Karte gefragt, aber die Kolleginnen sind schneller.

„Johannisbeerschorle!“

„Mangosaft!“

Mir war gar nicht klar gewesen, dass das Getränke sind, die man in jedem Restaurant als selbstverständlich voraussetzen darf.

„Haben Sie denn etwas Besonderes zu trinken?“, wage ich einen Vorstoß.

„Einen Hugo vielleicht oder einen Aperol Spritz?“ Der heißt, wie ich später erfahre, auf der Karte Veneziano, aber er ist trotzdem nicht das, was ich unter „besonders“ erwarte. Gibt‘s ja mindestens so häufig wie Mangosaft.

„Nein, danke.“ Bleibt nur, auf bewährtes Gutes zurückzugreifen. „Ich frage einfach mal: Haben Sie das Spicy Ginger von Thomas Henry?“

„Nein.“ Wäre auch eine tolle Überraschung gewesen.

„Crodino?“

„Nein.“

„San Bitter?“ Das ist eigentlich schon nicht mehr ganz Kategorie „bewährt und gut“, aber egal.

„Einen kleinen Moment …“ Sie eilt tatsächlich nach innen. „Nein, führen wir leider noch nicht.“

„Dann nehme ich einfach ein Wasser, danke.“ Habe ich mich schon unbeliebt gemacht?

Als die Kellnerin weg ist, greifen wir uns doch noch die Karte. Und siehe da: VIP Lady Pils vom Fass im Champagnerglas aus der Brauerei Forst in Meran! Wenn das nicht …

„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt!?“ Nein, das habe ich die Kellnerin nicht gefragt. Stattdessen: „Was ist denn ein Sportwasser?“

Es folgt eine längere Erklärung, die irgendetwas wie Mineralwasser vermuten lässt oder treffender noch, wie man hier im Schwäbischen sagt, saurer Sprudel.

Und sonst? Das alkoholfreie Hefeweizen ist von Erdinger, ein ganz großes Plus, denn das ist eines der ganz wenigen alkoholfreien Weißbiere, das schmeckt, und das ganz besonders gut. Affogato, eine mit heißem Espresso übergossene Eiskugel. Vinschgauer Marillenbrand. Der erhält auch spontan das Gütesiegel „besonders“.

Aber da kommt schon das Essen. Die Mehrheit wählt den Mittagstisch für 8 Euro (merke: Verlagsmitarbeiter zählen nicht zur Kernzielgruppe des Merans), heute ein köstlich angebratener Seelachs, ein paar eher anonym daherkommende Butterkartoffeln, ein Türmchen Spinatgemüse mit einem Karottenstift als, nein, nicht phallischer Dekoration, sagen wir eher als schmückender Antenne. Das Geburtstagskind erfreut sich augenscheinlich sehr an seinem Knödeltris aus − der Name sagt es − drei verschiedenen Knödeln. Schwieriger wird es für Vegetarier, da locken immerhin die Schlutzkrapfen: von der Stilnote eher Ravioli als Maultaschen und ohne wenn und aber lecker. Das kann das Meran.

Ein paar Tage später kehre ich zurück, denn ich habe noch eine Rechnung offen: Apfelstrudel und Marillenbrand und ein Blick ins Innere des Meran. Quadratische, etwas gar zu ordentlich aufgereihte Tische (intim ist kein Wort, das der Stimmung gerecht würde), rechts Regale mit Wein und Marmeladen zum Verkauf, links der mächtige Kopf eines Steinbocks an der Wand. Keine Gäste, die sitzen draußen an den Tischen mit den schwarzen Kunststoffplatten als Gesteinsimitat, es ist − typisch April, nicht wahr − schon wieder eitel Sonnenschein. Da eine Besprechung mit einem Londoner Besucher, dort ein österreichischer Zungenschlag. Für Geschäftsessen scheint das Meran keine unwillkommene Anlaufstelle zu sein.

Die Bedienung, eine andere als das letzte Mal, stellt mir den Apfelstrudel mit Kaffee und einen Marillenbrand aus dem Weingut Köfelgut hin. „Bitte sehr, das Schnäpsle.“ Hat sie da gerade wirklich verschwörerisch gelächelt zu diesen Worten? Geht ja gar nicht. Ich schieße ihr entrüstete Blicke hinterher.

Und der Rest ist leider Enttäuschung. Aber das mag auch an mir liegen, an Erwartungshaltungen und Kurzschlusshandeln: Marillenknödel, Marillenlikör … Ich brauche nur das Wort Marille hören und schon ist alles beschlossen. Dass ich bis auf den einen oder anderen Obstlikör destillierten Getränken grundsätzlich nichts abgewinnen kann, ist da schon abgeklinkt. Vernunft adé. Also kann ich zu dem edlen Brand nicht mehr sagen als: riecht gut, brennt weniger gut. So viel zum Kurzschlusshandeln.

IMAG0886Der Apfelstrudel fällt unter die Rubrik „unerfüllte Erwartungen“. Das fängt bei der Dekoration an (unnötig zu Apfelstrudel). Geht über den Glasteller (nicht passend, spießig). Hin zur Schokoladensoße (will ich definitiv nicht an Apfelstrudel sehen). Gipfelt im mürben, matschigen Teig (bei Strudel denke ich an Strudelteig, weshalb sonst sollte er so heißen, aber gut, wer will, kann Pizza auch mit Quarkölteig machen, warum also Apfelstrudel nicht mit, Verzeihung, Südtirol … Matscheteig). Endet in der apfelfaden, nussschwachen, rosinenfreien, matschigen Füllung.

Der Kaffee? Der Espresso zu mild, es fehlt ihm an Charakter, an Tiefe, meinetwegen auch an Kanten.

Verdrossen sitze ich da. „Alles klar?“, kommt lachend ein Lockenkopf mit leger umfasster Kaffeetasse heraus und setzt sich zu einem Freund an den Nachbartisch. Der Koch? Die Chefin folgt wenig später, Einkaufstaschen in der Hand, sie winkt den beiden am Tisch zu und schreitet übers Kopfsteinpflaster aus. Nur noch die Kellnerin arbeitet, räumt Tische ab. Es ist Freitag Viertel nach 2 Uhr nachmittags. Ruhig liegt der Marktplatz da, fast ein bisschen verschlafen. Um diese Zeit könnte Bad Cannstatt auch ein Dorf sein, zumindest hier. Morgen Vormittag würde der Platz wieder leben. Dann bietet das Meran auch ein dazu passendes üppiges, verlockend klingendes Marktfrühstück. Ich werde trotzdem woanders frühstücken.

Café Meran: Marktstraße 46 − 70372 Stuttgart-Bad Cannstatt

4 Gedanken zu „Mittagspause in Südtirol − Das Meran in Bad Cannstatt

  1. Die einzige Dekoration, die ein Apfelstrudel braucht, ist ein ordentlicher Berg selbstgemachter Sahne. Meinem Läppie läuft beim Tippen schon das Wasser zwischen den Tasten zusammen. Danke für den unterhaltsamen Zeilenausflug ins Meran!

    P.S.: Stimmst du dich doch auf die FoodbloggerInnen ein? 😉

    • Hehe, das klingt fast so, nicht? Ist eine glückliche Koinzidenz. Und Gaumenzeilenausflüge gibt es ja auch so hin und wieder im Kesselleben. 😉

      P.S. Mir läuft bei deinen Zeilen auch das Wasser im Munde zusammen.

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