In einen Buchenstab geritzt, irgendetwas über Heimat

Nein, es ist keine Natter

Da stutzte ich, als ich das Stück Holz vor meiner Tür fand, ein kurzer Buchenstab, von jemandem mit Bedacht dort abgelegt. Was war das, wie ging man damit um? Merkwürdige Bilder stolperten durch den Kopf: der Drang, das Stöckchen auf allen Vieren zu apportieren; ein Misstrauen, es könnte sich irgendwie als hinterlistige Giftnatter entpuppen; Erinnerungen an vor Zeiten aufgeschnappte altertümliche Erbsitten („Der Speer entgleitet meiner schwachen Hand. Sohn, nimm du ihn auf und führe ihn weiter“). Alles Unsinn natürlich, es ist nichts weiter als mein erstes Bloggerstöckchen, zugeworfen von der lieben Xeniana („Familienbande“). Die eingeritzten Fragen hatte sie dem hochverehrten Max Frisch abgerungen. Also her damit, Herr Frisch! Und herzlichen Dank für die Ehre, Xeniana!

1.Wenn Sie sich in der Fremde aufhalten und Landsleute treffen: Befällt Sie dann Heimweh oder dann gerade nicht?

Es gab da einen Familienurlaub – in dem Sommer, in dem ich schwimmen lernte –, da begegneten wir auf einem Abendspaziergang ein paar Menschen, die etwas taten, was nicht gefiel. Voller Abscheu sagte meine Mutter „und wahrscheinlich sind es auch noch Deutsche“. Sie waren es. Was man von der Situation (und nicht zuletzt der Reaktion meiner Mutter) auch immer halten mag, es war für mich sicherlich die Wurzel für ein gewisses Fremdschämen für die eigenen Landsleute. Manchmal waren mir Begegnungen in der Fremde auch dann lästig, wenn es ganz und gar keinen Grund gab, sich für das Verhalten der Landsleute zu schämen. Vermutlich, weil das Vertraute den Zauber der Fremde – und den selbstgestrickten Mythos der eigenen Rolle in dieser Fremde – zu zerstören drohte. Aber eigentlich ist die Sache mit dem Heimweh viel einfacher: Je weniger ich die Sprache des Gastlandes beherrsche, desto mehr weckt eine Stimme in der vertrauten Muttersprache Heimweh.

2.Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders:

a die Landschaft?

c.das Brauchtum?

Was (und wo) ist denn b?

Nun muss ich erst einmal darüber nachdenken, was Heimat für mich ist. Ein Versuch: Eine Landschaft (geographisch wie kulturell), in der ich seit rund 20 Jahren nicht mehr lebe, die ich aus familiären Gründen gelegentlich und gerne bereise und mindestens so gerne wieder verlasse. Alles, was später kam, ist Heimstatt geworden, aber nicht Heimat.

Heimat, zweiter Versuch: Ein Gruß, der auch dort, wo er herkommt, längst nicht von allen verwendet wird, und der dort, wo ich wohne, unbekannt ist. Wenn ich ihn doch einmal hier oder an anderen Orten, wo er nicht zu erwarten ist, höre, zaubert sich – schneller als ein Gedanke – ein Lächeln in mein Gesicht. Diese Heimat vermisse ich (auch wenn ich mich einst, damals noch „zuhause“, lange dagegen gesträubt hatte) sehr.

Heimat, dritter Versuch, augenzwinkernd: Nach einem fürchterlich langen Tag auf der Straße komme ich spätabends in einer Gaststätte irgendwo im Grenzgebiet zwischen Ober- und Niederösterreich an, ein paar Hundert Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Der Wirt grüßt und fragt: „Magst’ ein Bier?“ „Gern“, antworte ich nur. Und der Wirt stellt ein Weißbier vor mich hin. Ich grinse und denke mir: „Dahoim, das ist dort, wo man auf die Frage nach einem Bier ein Weizen hingestellt bekommt.“

3. Welche Speisen essen Sie aus Heimweh und fühlen sich dadurch in der Welt geborgener?

Beim Essen hatte ich immer schon Fernweh, nicht Heimweh. Küchen, die weit entfernt liegen von der heimischen, haben mich nicht nur gelockt, sondern sie lassen mich auch längst geborgen fühlen. In der Küche ist mir Kreuzkümmel etwa Heimat, ganz gewiss nicht der Schnittlauch, den es früher bei uns zuhause in jedem Garten gab.

Trotzdem gibt es zwei ‚klassische’ Gerichte, die mir ganz für Heimat stehen: Zum einen Krautkrapfen. Salzig-fetttriefender Himmel auf Erden. Ich esse sie grundsätzlich (und meist als einziger am Tisch) nur mit den Fingern, so sehr Heimat sind sie. Gabel und Messer würden alles zunichte machen. Und der Kartoffelsalat (ohne Mayonnaise, mit Paprika, Oliven, Knoblauch, Gürkchen) meines Vaters zu gebackenem Käse (panierten Hartkäsescheiben), eine gewisse Zeitlang das traditionelle Essen zu einem wichtigen Jahresfest. Und dann wäre da natürlich noch etwas zu deutschem Brot zu sagen, aber das wird eine andere Geschichte.

4. Wieviel Heimat brauchen Sie?

Eine Tür, die ich hinter mir schließen kann. Vertraute Menschen, wenn ich die Tür wieder öffne. Eine gemeinsame Sprache mit meiner Umwelt.

5. Was macht Sie heimatlos?

Keine gemeinsame Sprache zu finden.

6. Was fürchten Sie mehr: das Urteil von einem Freund oder das Urteil von Feinden?

Feinde? Ich fürchte das Urteil Fernstehender mehr als das Nahestehender. Ich suche das Urteil Letzterer und im schlimmsten Falle wird es wütende Abwehr hervorrufen – eine Energie, die Bewegung und damit Entwicklung erlaubt. Das Urteil Fernstehender kann mich leichter entmutigen und mir die Dynamik rauben. Das ist dann Stillstand. Ach, oder ist es doch ganz anders?

7. Gibt es Freundschaft ohne Affinität im Humor?

Ja. – Dieses kurze Wort hat mich einiges an Zeit gekostet.

Das Holz wandert weiter

Wem kann man ein Stöckchen weitergeben, ohne lästig zu werden? Ich versuche es einmal mit Danares.mag und Paintblotch. Eigentlich würde ich es gerne auch an Essays & Other Writings weitergeben, aber im Augenblick bin ich zu faul, es ins Englische zu übersetzen. Es sei aber jedem und jeder freigestellt, auch unaufgefordert das Stöckchen zu schnappen – vielleicht ist es ja irgendwo vom Wege abgekommen.

Und das ist ins Stöckchen eingeritzt:

1. Was war an deiner Kindheit einzigartig?

2. Was lässt dich jeden Morgen aufstehen?

3. Glücklich macht dich …

4. Du hasst …

5. Wenn du ein Naturphänomen wärst, wärst du …

6. Wen oder was zitierst du am häufigsten?

7. Die Welt geht unter und du hast in deiner Tasche noch Platz für ein Musikalbum, das du mit auf den Mond nehmen kannst. Was wählst du?

8. Und welche zehn Lebensmittel mit auf die Insel?

9. Ein großartiges Kunstwerk ist …

10. Ein Spiel: Stell dir vor, du lebst im alten Mesopotamien. Dir wird während einer mehrtätigen Abwesenheit die Holztür deines Hauses gestohlen – in den baumarmen Ebenen dummerweise der teuerste Einrichtungsgegenstand deines Hauses! Du hast deinen missgünstigen Nachbarn im Verdacht, aber es fehlen dir die handfesten Beweise. Was tust du?

a) Du gibst dir keine Blöße, tust alles mit einem Schulterzucken ab und kaufst dir eine neue Tür aus importiertem Zedernholz.

b) Du trittst vor den Nachbarn, forderst lautstark Wiedergutmachung und vertraust auf die Gewandheit deiner Zunge oder im schlimmsten Falle die deiner Fäuste.

c) Du gehst schnurstracks zum Richter und erstattest auch ohne ernsthaften Beweis Anzeige gegen den Nachbarn.

d) Du opferst im Tempel eine Taube für gutes Gelingen deiner perfiden Rache und lässt dann ein paar Kontakte im Handelsviertel spielen. Die nötigen Schmiergelder sind es dir vollkommen wert: Den Nachbarn wirst du ganz langsam finanziell ausbluten lassen …

11. Bruce Willis oder Michael Douglas?

14 Gedanken zu „In einen Buchenstab geritzt, irgendetwas über Heimat

  1. Das ist hübsch; und etwas, über das ich auch mal lange nachgedacht habe: meine Sprache. Ohne die wäre es für mich nicht auszuhalten (selbst wenn eine andere ihren Zweck täte). Die ist das letzte Hemd, heimatlicher Art, meine ich.

    • Ich bewundere Menschen, die sich frohgemut in die Welt stürzen, ganz aufgehoben in ihrem Wissen, „mit Händen und Füßen tut es schon“. Sie sind mir fast unheimlich. Mit Händen und Füßen, das ist für mich Katastrophe.

  2. Ich habe deine Antworten gerne gelesen.Den Beginn fand ich klasse. und die Gedanken zur Heimat spannend. ja so ein „Hallöle oder „Guts Nächtle“,im schwäbischen fand ich ebenso wie Maultauschen ganz heimatlich irgendwie. Dank für das Aufheben des stöckchens! Ich muss gestehen, dass das von dir geschnitzte so schön aussieht, das ich es am liebsten aufheben würde, aber ich lasse mal Anderen den Vortritt.LG Xeniana

    • Vielen Dank für deine Rückmeldung, das freut mich! Und ja, Dialektwörter können viel Heimat bieten. (Auch wenn es in meinem Fall ganz andere Grüße sind, denn hier in Stuttgart bin ich ja quasi in der „Fremde“, hehe.)
      Ich hätte kein Problem damit, wenn du das Stöckchen gleich wieder aufnimmst. Nun ja, wenn’s in drei Wochen noch traurig und verloren herumliegt, kannst du es dir ja immer noch überlegen.
      Herzliche Grüße
      Holger

  3. Lieber Zeilentiger, Deine Antworten waren sehr spannend zu lesen! Meine anfängliche Abneigung gegen digitale Stöckchen habe ich dank Miss Booleana (http://missbooleana.wordpress.com) abgelegt. Daher kann es durchaus sein, dass ich mir Dein frisches Stöckchen schnappen werde. 🙂 (Kann aber noch ein bisschen dauern…) Saludos!!

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