Der letzte Sommer – Stewart O’Nan, „Alle, alle lieben dich“

O'Nan_978-3-499-25425-3.jpg.434775„Es war der Sommer, als Kim die Chevette fuhr, mit J. P. zusammen war und sich das Haar wachsen ließ.“ Doch dann verschwindet die junge Frau spurlos, nur wenige Tage, bevor sie die Kleinstadt fürs College verlassen sollte.

Minutiös schildert der Roman das Leben der Zurückgebliebenen, legt mit sicherer Hand die Ängste und Hoffnungen der Familie und engsten Freunde bloß, ihre Geheimnisse und verborgenen Gedanken, hält die verzweifelte Suche fest, das verbissene Erinnern und Gedenken und die allmähliche Rückkehr des Alltags, der doch niemals wieder das sein würde, was er einmal war.

Aufmerksam wurde ich damals auf das Taschenbuch durch seine außergewöhnlich ansprechende Gestaltung, fesselnd war die erste Seite in der Buchhandlung, interessant das erste Kapitel – gelesen an einem heißen Sommertag wie im Buch – mit seinen genauen, klaren, ganz unpathetischen, aber keineswegs gefühllosen Sätzen.

Doch so wie sich das Suchen und Warten in der Handlung hinzieht, wird das Buch selbst quälender, unzusammenhängend reihen sich die Kapitel als Teil dieser Chronik der Überlebenden. „Unaufdringlich anrührend und von beklemmender Präzision“ wirbt der Rückentext, doch der Sog der Geschichte verliert irgendwann seine Kraft, sie erlahmt, ermüdet, stößt ab, die Fliehkraft wird stärker (ich habe Seiten übersprungen) und wie befreit löste ich mich endlich von dem Buch.

Ob die großen Zeitungen oder Blogrezensenten: alle, alle liebten das Buch – nur ich nicht. Das Cover aber schaue ich bis heute immer wieder gerne an. Und denke dabei manchmal zurück an jenen Tag, an dem ich es nach einer Radtour zwischen sommerblonden Getreidefeldern in einer Kleinstadt zum ersten Mal gesehen hatte.

Stewart O’Nan: Alle, alle lieben dich. Roman. Deutsch von Thomas Gunkel. (Originaltitel: Songs For the Missing, 2008). 410 Seiten, Taschenbuch oder als E-Book. © Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009.

6 Gedanken zu „Der letzte Sommer – Stewart O’Nan, „Alle, alle lieben dich“

  1. Genau so ist es mir auch schon ergangen. Bücher, die überschwänglich gelobt, in den Himmel gehoben und vielleicht sogar als preiswürdig erachtet wurden, verlockten mich mehr als einmal zum Kauf. Leider war es mehr als einmal so, dass diese mich weder berührt, noch mein Herz erreicht haben.
    LG von Rosie

  2. Ein Buch zum An-die-Wand-Nageln. Das gefällt mir; gibt don’t judge a book by its cover noch einmal einen anderen Drall. (Ich habe noch nichts von O’Nan gelesen. Sollte vielleicht mal.)

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