23. Mulholland Drive, das erste Mal
„Und, was meinst du?“
„Ein guter Film, ohne Frage. Ich bin mir nur nicht sicher, ob er wirklich einen Sinn hat. Eine Logik.“
„Hat er, da bin ich mir sicher!“
„Man wird den Film wohl mehrmals sehen müssen. Wahrscheinlich wird dann manches klarer.“
„Auf jeden Fall! Da gibt es ganz bestimmt einiges noch zu entdecken. Ist dir etwa aufgefallen, dass ein paar Personen mehrmals vorkommen, ich meine, in unterschiedlichen Rollen, immer etwas anders aussehend, aber doch dieselben? Das naive Mädchen etwa, Diane, das dann heruntergekommen mit dem Killer herumläuft?“
„Ach ja, natürlich! Ja, das wird mir jetzt erst klar, wo du es sagst.“
„Und an Symbolismen mangelt es ja auch nicht. Rita etwa, immer in Schwarz und Rot, dazu ihr bleiches Gesicht. Als würde sie den Tod symbolisieren oder anders gesagt, der Tod in ihr zum Vorschein kommen. Manchmal hat sie auch etwas Dämonisches. Denke an die Kameraeinstellung, ihren Blick.“
„Vieles ist mir aber einfach schleierhaft. Was etwa soll die kleine Episode mit dem Mann in dem Imbiss und dem Schwarzen Mann? Wo ist das der Zusammenhang?“
„Der Schwarze Mann … Er erschrickt den armen Burschen zu Tode. Er sieht auch erschreckend aus. Aber ist er böse?“
„Er bringt auch die blaue Schachtel ins Spiel, die …“
„Pandoras Büchse, oder?“
„Nun, es scheint, als würde sie das Böse fassen. Aber eigentlich ist es doch eher die Wahrheit, die freigelassen wird, als der Deckel gehoben wird. Der Traum zerbricht, das Gewissen meldet sich …“
„Passt, ja. So gesehen kann man den Schwarzen Mann einfach als Wächterfigur sehen, erschreckend für die Menschen, aber keineswegs böse. In den Mythen gibt es doch immer wieder solche Wächterfiguren.“
„Nochmals zum Traum zurück. Auf eine bittere Weise lustig fand ich, wie das Mädchen anfangs sagte: ‚Jetzt bin ich in dieser Traumstadt.‘ Positiv hat sie es gemeint: in dieser großartigen Stadt. Zugleich die Stadt der Träume, der Filmträume, des großen amerikanischen Traums. Es ist derTraum, der hier zerplatzt. Oder eigentlich erst geträumt wird und dann zerplatzt. Ich finde es aber gar nicht so einfach zu sagen, was davon sich nun in einen Albtraum verwandelt, der Traum oder die Realität.“
„Ja, sie gleitet ab. Erinnerst du dich, das blaue Leuchten? Als die beiden Frauen nachts noch unterwegs sind? Da kippt das Ganze. Weißt du, die Szene, wo die Kamera auf die beiden zurast. Wie ein angreifender Stier.“
„’Silencio‘, haha.“
„Auf jeden Fall wurde es da dann schwierig, noch dran zu bleiben an dem Film. Bis dahin war die Geschichte ja noch irgendwie nachvollziehbar, aber dann zerbricht alles. Und die Bilder und Symbole nehmen noch weiter zu. Würde sagen: Dominieren jetzt vor der Geschichte, während sie vorher nur ein Teil der Geschichte waren.“
„Aber ergibt wirklich alles einen Sinn: jede Einzelheit, jedes Detail? Könnte man alles deuten und in Beziehung setzen zu den anderen Elementen? Wie weit geht die Logik?“
„Gute Frage. Ich vermute, ja – es hat alles einen Sinn. Aber vielleicht ist alles auch nur ein Witz des Regisseurs.“
„Wie hieß es noch einmal? ‚Alles nur eine Illusion‘, sagte sie doch. Alles nur eine Illusion.“
Nun gut, das wird wohl der schwächste Teil dieses nicht gerade taufrischen Weihnachtszyklus gewesen sein. Vielleicht hätte ich ihn doch besser ausgetauscht durch einen kleinen Text, der in den Anfangszeiten des Blogs online gegangen war, über diese besonderen Tage vor Weihnachten, manchmal verlogen, manchmal ganz kostbar.