Ein Mann steht vor dem Haus

Wie hilflos es macht, in einem Land zu leben, dessen Sprache man nicht spricht und auch keine derjenigen, die dort üblicherweise an den Schulen gelehrt werden. Ein Mann steht vor dem Haus und weil ich noch kurz vor der Tür stehenbleibe, um eine Nachricht zu tippen, traut er sich heran und spricht mich an in einer Sprache, die ich nicht zuordnen kann. Ich könnte angesichts seines Aussehens wetten, er kommt aus einem Land des Nahen Ostens, also frage ich ihn auf Arabisch zurück. Er kneift die Augen zusammen, grübelt, hat dann die Frage offenbar verstanden und antwortet nur: „Kurdi.“ Ja verdammt, ein Kurde, der kein Arabisch kann. (Ist er aus Anatolien? Aus dem Iran?) Er redet wieder in seiner Sprache auf mich ein, holt sein Handy heraus, tippt eine Nummer ein und drückt mir das Telefon in die Hand. Spannend. Ach ja, sein Sohn, er spricht gebrochen Deutsch, er kann mir sagen, wohin der Vater will, aber er versteht meine dreifach wiederholte Antwort kaum. Irgendwann meint er zögernd „okay“ und ich gebe das Telefon zurück und deute dem Mann auf die Klingelschilder, zeige auf mich und ein Schild, dann auf ihn und ein anderes und nicke dazu. Irgendwann sagt auch er schicksalsergeben „okay“. Ich klingel für ihn und sofort wird uns geöffnet, ich bringe ihn hinauf und zur Rezeption und erkläre dort kurz die Lage. Ich sehe die bei meinen Worten wachsende Verzweifelung der jungen Rezeptionistin – sie könnte türkischer Abstammung sein, ich hoffe inständig darum, dass sie es wirklich ist und selbst Türkisch kann und der Mann auch, aber groß ist meine Hoffnung nicht, denn ich habe ihr ja gesagt, dass er Kurde ist, und wenn sie dann so schaut, dann kann sie wohl doch kein Türkisch. Er ja vermutlich auch nicht. Trotzdem nickt die junge Frau, ich lasse den Mann bei ihr zurück, er lächelt mir zu, sagt ein deutsches Wort: „Danke.“

Am selben Tag noch melde ich mich für einen Farsi-Kurs an.

Tigris_Fluss_Syrien_Türkei_Kurden

Der Tigris, Kurdengebiet, im äußersten Osten Syriens in den ersten Tagen der Revolution. Das gegenüberliegende Ufer gehört zur Türkei, ein paar Kilometer flussabwärts beginnt der Irak.